Wann immer es Spannungen in einer Kirchengemeinde gibt, wird von kirchenleitenden Personen gebetsmühlenartig gesagt: "Zuerst muss wieder Ruhe einkehren".
Gerade die Personen, die durch ihr Theologiestudium -meint man jedenfalls- es besser wissen müssten, erheben die "Ruhe" zum höchsten geistlichen Ziel einer Gemeinde. Das Phänomen sollten wir uns genauer ansehen: Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass es zwischen der Unruhe, die Jesus in seinem irdischen Leben ausgelöst hat, und der Unruhe in Gemeinden sehr oft erstaunliche Parallelen gibt. Um es vorweg zu nehmen: Am Ende bleibt nur das Fazit: Es ist eine Irrlehre, dass "Ruhe" das höchste Ziel einer Gemeinde sein soll! Noch drastischer ausgedrückt: Wer mit aller Gewalt in erster Linie diese "Ruhe" erzwingt, handelt ungeistlich. Er handelt "wider den Heiligen Geist".
Merke: Es gibt keine geistlichen Aufbrüche ohne Unruhe!
Man betrachte die Erweckungsbewegungen! Von Luther bis heute! Hätte Luther keine Unruhe ausgelöst, hätte es keine Reformation gegeben. Luther war ein Unruhestifter! Davon wollen viele unserer krichlichen Repräsentanten nichts mehr wissen. Sie würden heute mit einem Luther genau so umgehen, wie damals die katholische Kirche!
Leben und Unruhe gehören zusammen. Jeder, der Kinder hat, kennt das.
Kinder schaffen dauernd Unruhe.
Wenn es im Kinderzimmer auf ein Mal so still ist, dann stimmt etwas nicht!
Einschub:
Was wäre, wenn nur noch Kirchengemeinden finanziell gefördert würden, bei denen es unruhig ist?
Auch wenn jetzt sofort Widerstand gegen so eine These aufkommen wird: Das Geld würde zumindest nicht in tote Gemeinden fliessen.
Was wäre, wenn Pfarrer, Dekane, Prälaten, Kirchenräte 50% ihres Gehaltes darnach bemessen bekämen, wieviele Mitarbeiter in ihrem Verantwortungsbereich tätig sind? Oder wie es mit dem Gottesdienstbesuch aussieht?
Zumindest müsste dann jemand dafür bluten, dass er den Gottesdienstbesuch in Nebringen halbiert hat!
Jesus selbst hat in seinen Ansprachen immer wieder darauf hingewiesen, dass sein Wort Widerstand auslösen würde. Das gilt bis heute. Wo das Wort Gottes unverfälscht und unverwässert gepredigt wird, da scheidet es, wie ein zweischneidiges Schwert (Hebräer 4,12), Geistliches von Ungeistlichem. Wenn, wie im Kirchenbezirk Herrenberg, ein Ruhestandspfarrer sich rühmt, dass seine Gemeinde in all den Jahrzehnten nie (negativ) in der Zeitung erwähnt worden wäre, dann halte ich dies für ein Armutszeugnis.Wo Menschen aufgefordert werden, sich für Jesus zu entscheiden, da gibt es immer auch Menschen, die sich dagegen entscheiden. Und schon ist Widerstand da. Anders ausgedrückt: Wer sich davor drückt, Menschen zu einer Lebensübergabe an Jesus zu ermutigen, der bekommt natürlich auch keinen Widerstand.
Geistliche Aufbrüche haben oft zu Anfang eine Gnadenzeit (Apostelgeschichte 2,47), aber irgendwann beginnt der Widerstand. Und auch das ist ein wiederkehrendes Muster: Der Widerstand kommt überdurchschnittlich oft aus den Reihen der Frommen und den krichlichen Würdenträgern. Zu der Zeit von Jesus, waren es die allseits bekannten Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrten. Heute sind es immer wieder Pfarrer, Dekane, Prälaten, Kirchenräte. Allein im Kirchenbezirk Herrenberg sind mir aus den letzten 20 Jahren drei geistliche Aufbrüche bekannt, die von dieser kirchlichen Obrigkeit zerschlagen wurden. Die Menschen werden aus der Kirche gedrängt und gezwungen, sich andere Organisationsformen zu suchen. Allein in Oberjettingen entstanden so zwei freie Gemeinden.
Jesus hat immer wieder darauf hingewiesen, dass unser Leben eine Wanderschaft zur Ewigkeit ist. Wir sind noch nicht angekommen (Johannes 14,2). Über Jahrzenhnte hinweg wurde und wird den Gemeindegliedern vermittelt, dass "Ruhe" und "alles lassen, wie es immer war" die Voraussetzung für eine gesunde Gemeinde sei. Die Wahrheit ist, dass uns das Wort Gottes auffordert, jeden Moment mit etwas Unerwartetem, ja sogar etwas Beunruhigendem rechnen sollten. "Der Geist weht wo er will".Da wirkt es dann sehr befremdlich auf mich, wenn Prälat Dr. Christian Rose bei der Gemeindeversammlung der Gemeinde versichert, dass es jetzt keine unerwarteten Überaschungen mehr geben werde.
Wo das Wort Gottes richtig gepredigt wird, entsteht Unruhe. Das war bei Jesus so und das ist bei seinen Nachfolgern heute auch noch so. Tradition ist wertvoll. Gefährlich wird Tradition, wenn sie dazu verwendet wird, Veränderung zu verhindern. "Das war schon immer so". Ich habe Menschen in Nebringen getroffen, die über viele Jahre mit Kirchengemeinde nichts am Hut hatten, nicht mitarbeiteten, nicht im Gottesdienst zu sehen waren, aber allen Ernstes forderten, dass das Kirchengebäude in keinem Punkt verändert werden dürfte. "Wenn ich dann mal wieder in die Kirche gehe, möchte ich das wiederfinden, was ich beim letzten Mal gesehen habe". Kirche als Museum. Kirche als toter Raum. Welch eine hirnrissige Ansicht! Gerade für Christen sollte immer wieder der Gedanke präsent sein: "Wir sind hier nicht zu Hause". Dazu gehört auch, dass abhängig vom jeweiligen Wegabschnitt, unterschiedliche Ausrüstung erforderlich ist. Das Gebäude hat den Menschen zu dienen, nicht umgekehrt.
Einschub: Ein Interview mit Rob Bell
Es ist nicht verwunderlich, dass Christen zu den am meisten verfolgten Menschen der Welt gehören. Mehr als 70% aller wegen ihres Glaubens verfolgten, sind Christen! Der Teufel rührt sich da, wo es bedrohlich für ihn wird. Wo ihm keine Gefahr droht, herrscht Ruhe an der Front. Unruhe in Gemeinden ist kein Beweis für geistlichen Aufbruch, aber geistlichen Aufbruch ohne Unruhe gibt es nicht. "Habt mit allen Menschen, so weit es an Euch ist, Frieden". Wenn sich, wie in Nebringen, Menschen dem Gespräch verweigern, muss der Widerstand ausgehalten werden.
Es gibt einige Punkte, an denen sich erkennen lässt, ob Unruhe auf einen geistlichen Aufbruch hindeutet, oder ob es einfach Reaktion auf menschliches Versagen ist. Gerade bei menschlichem Versagen zeigt sich mit am Deutlichsten, ob der Widerstand geistlich fundiert, oder Widerstand gegen Gottes Wort ist. Wo der Widerstand unbarmherzig, mit offensichtlichem Hass und hinten herum auftritt, nimmt er sich selbst die geistliche Legitimation. Anders ausgedrückt: Menschen, die sich unter Gottes Wort stellen, erkennen zu tiefst die eigene Unvollkommenheit. Sie erleben Gottes Liebe trotz ihrer Fehler. Sie erleben Barmherzigeit. Und sie leben Barmherzigkeit. Sie sprechen mit anderen, nicht über sie. Sie helfen dem, der Fehler macht, zu recht. Wenn Widerstand auftritt, kann man zur Prüfung der Situation, die Frage stellen: Kommt der Widerstand von Menschen, die in einer offenen, transparenten Weise in geistlicher Gemeinschaft leben? Kommt er von Menschen, die liebevoll mit "Feinden" umgehen? Kommt er von Menschen, die sich hinterfragen lassen? Wenn diese Fragen verneint werden müssen, kann es sein, dass der Widerstand ungeistlich ist und, so schmerzhaft das ist, ausgehalten werden muss. Falsch wäre es in diesem Fall, dem Widerstand nachzugeben, damit "Ruhe" einkehrt. Das hat Pilatus auch getan.
Ein weiterer Punkt: Gegen wen richtet sich der Widerstand? Und gegen Was? Lautet das Argument: "Die halten sich für was Besseres. Das sind die Superfrommen"? Es kann sein -und das wäre in jedem Fall zu Recht zu kritisieren-, dass sich eine Gruppe überheblich von anderen absondert und sich für besser hält. Viel häufigerist es aber so, dass sich die gescholtenen "Superfrommen" nur ernsthaft mit dem Wort Gottes auseinandersetzen. Und genau das wollen manche Menschen nicht! Ehrlich wäre, wenn die Kritisierenden sagen würden: "Ich mag mich nicht von Gottes Wort hinterfragen lassen. Ich will nicht mein Leben so offen und transparent leben, dass mich andere auf Fehlverhalten hinweisen können". Deswegen wirken Hauskreise bedrohlich: Es sind Menschen, die sich hinterfragen lassen. Von Gott und von den Mitchristen. Statt das Gespräch mit diesen Hauskreisen zu suchen, wird der Widerstand hinten herum geführt. Zum Glück ging in Nebringen der Versuch schief, Hauskreise in die freikirchliche Ecke zu stellen. Die Initiatoren mussten sich sagen lassen, dass Hauskreise selbstverständlich zur Gemeinde dazu gehören! Und dass der Widerstand gegen sie ganz normal ist!
Nachklapp: FOCUS Leitungskongress Januar 2012 in Stuttgart
Einer der wichtigsten Vorträge befasste sich mit Schwierigkeiten in der Gemeinde. Sehr deutlich wurde auf den Unterschied zwischen Spannungen und Problemen hingewiesen. Spannungen müssen ausgehalten werden - Probleme müssen gelöst werden. Wer versucht, unvermeidliche Spannungen aufzulösen, verhindert oder zerstört sogar Gemeinde-Entwicklung. So deutlich habe ich es bis dahin von keinem Pfarrer, Dekan, Prälat, Kirchenrat oder Bischoff gehört. Und angewendet natürlich auch nicht. Wieviele Gemeinden würden heute noch gesund da stehen wenn ihre Entwicklung nicht durch ein falsches Verständnis zerstört worden wäre! Fürchtet Euch vor sogenannten Geistlichen, die hier keine Unterscheidung machen!