Ca. zwei Jahre vor der hier berichteten Begebenheit hatten wir uns selbstständig gemacht. Wir waren eine kleine Mannschaft und der Umgangston war locker.

Wir standen, wieder ein Mal, in der Runde und diskutierten aktuelle technische Probleme. Ich gab natürlich auch meinen Kommentar ab, als einem Kollegen rausrutschte: "Du hast ja keine Ahnung!"

Uups. Betretenes Schweigen in der Runde. Unser Umgangston war zwar locker, aber ging das jetzt, gegenüber dem Chef, nicht doch zu weit?
Zugegeben, ich habe im ersten Moment geschluckt. Es kann ja sein, dass der Kollege recht hat, aber muss er dann mein Unwissen so brutal blosstellen? Wir haben drüber gelacht und mit anderen Themen weitergemacht.

In den nächsten Tagen ging mir diese Szene immer wieder durch den Kopf. So ganz langsam dämmerte mir, dass ich an meinem Verhalten entwas ändern musste. Ich hatte versucht, Vorbild zu sein und jede schwierige, unangenehme Aufgaben anzunehmen und zu lösen. Ich hatte eins chlechtes Gewissen, einem Kollegen eine Aufgabe aufs Auge zu drücken, die ich als unangenehm oder schwierig empfand. und genau das war falsch!

Wie soll sich ein junger Kollege bewähren, wenn ich ihm die Schwierigkeiten aus dem Weg räumte? Wie konnte er sein Können zeigen, wenn ich ihn vor den Herausforderungen "beschützte"?

Ich hatte viele Jahre als Einzelkämpfer gearbeitet und hatte das Delegieren auch nicht im Ansatz gelernt. Der Ausrutscher meines Kollegen machte mich auf, zugegeben, brutale Weise darauf Aufmerksam. Ich kämpfe heute noch damit, dass mir Delegieren schwer fällt. Aber immer häufiger gebe ich jetzt eine Aufgabe weiter. Auch auf die Gefahr hin, dass sie nicht so (vielleicht nicht mal so gut) erledigt wird, wie ich es für mich vorstellen würde.

Es ist dann immer wieder eine Freude für mich, wenn ich sehen darf, wie ein junger kollege sich in ein Problem reinkniert und schlussendlich löst! Menschen wollen herausgefordert werden! Sie wollen zeigen, was sie können. Sie wollen Schwierigkeiten meistern und sie wollen nicht, dass andere sie ihnen aus dem Weg räumen. Vielleicht gilt dies nicht für alle Menschen, aber für Menschen mit Führungspotenzial gilt dies ganz sicher!

Ich bin heute froh darüber, dass diese Szene passiert ist. Auch wenn er es nicht babsichtig hat - ich bin diesem Kollegen bis heute dankbar dafür.